
Vor 8 Jahren war ich freudig überrascht, dass sich eine neue Pflanze in meinem Garten angesiedelt hat. Sie fiel mir auf, weil sie recht schnell wuchs und anders aussah, als die anderen Pflanzen in der Wiese, die mal als Rasen gedacht war. Also habe ich immer sorgfältig darum herum gemäht, weil ich gespannt war, was denn daraus würde. Auf den ersten Blick unscheinbar und einfach grün, entpuppte sie sich als Orchidee, genau genommen eine Bocks-Riemenzunge, auch Bocksorchis genannt. Ihren Namen hat sie u.a., weil ihr „Duft“ stark an den Geruch eines Ziegenbocks erinnert. Obwohl ich noch gut riechen kann, habe ich dies bisher (glücklicherweise) nichts gerochen. Die „Riemenzunge“ bezieht sich auf die langen, schmalen Blütenlippen dieser Orchideenart, die an Riemen erinnern. Auf den ersten Blick ist sie eher unscheinbar, „grün halt“, wie ein Freund meinte, was man auch hier im Bild nachvollziehen kann.

Aber wenn man näher hinschaut, fallen die bereits angesprochenen langen, gedrehten Blütenlippen auf. Sieht man noch genauer hin, sieht man die weiß-violett-grün gefärbten Blüten, die wirklich faszinierend sind – allerdings sind sie weniger als 4 cm groß. Die Pflanze wird bis zu einem Meter hoch und trägt im Sommer zahlreiche dieser Blüten. Größe, Blütenmenge und die o.g. Zungen machen die Bocks-Riemenzunge auch zu einem besonderen Blickfang in Trockenrasen und Magerrasenlandschaften, wo sie bevorzugt wächst. Wie hoch sie wird, hängt von vielen Faktoren ab, wie Nährstoffverfügbarkeit und Alter. Jüngere Exemplare sind meist kleiner. Erst im Laufe mehrerer Jahre entwickeln sie ihre volle Größe und Blühfähigkeit.

Im Herbst bildet sich eine Blattrosette. Sie überwintert grün und nutzt milde Phasen zur Fotosynthese, um Energie für das kommende Jahr zu sammeln. Sie ist frostbeständig und ist unterirdisch durch die knolligen Speicherwurzeln geschützt. Mit steigenden Temperaturen beginnt das kräftige Wachstum. Aus der Mitte der Rosette wächst der Blütenschaft. Je nach Witterung beginnt die Orchidee Mitte Mai bis Ende Juni zu blühen. Im Spätsommer entwickeln sich Kapselfrüchte mit sehr feinen, staubartigen Samen. Diese werden vom Wind verbreitet, keimen aber nur in Symbiose mit bestimmten Pilzen (Mykorrhiza). Der oberirdische Teil der Pflanze zieht ein und stirbt ab; unterirdisch verbleibt die Speicherknolle für den nächsten Zyklus.
Zuerst wuchs hier nur eine Orchidee. Dies Jahr (2025) fielen mir die an vielen Stellen im "Rasen" verteilten Blätter auf, die so aussehen, wie die "meiner" Orchidee. Damit ich nicht immer drum rum mähen muss, habe ich einige davon ausgegraben und alle nebeneinandergesetzt. Die jüngeren Pflanzen sind deutlich kleiner und blühen auch später.
Die Bocks-Riemenzunge blüht oft erst nach mehreren Jahren, da sie zunächst Energie in ihre Speicherorgane investieren muss. In manchen Jahren erscheint sie nur als Rosette, ohne zu blühen.
Die Bocks-Riemenzunge gilt in vielen Regionen als gefährdet, da ihre natürlichen Lebensräume durch Landwirtschaft und Bebauung zurückgehen. Sie steht daher unter Naturschutz und ist ein wichtiger Indikator für artenreiche, extensiv genutzte Standorte.
Trotz ihres eher unangenehmen Geruchs und des auf den ersten Blick unscheinbaren Erscheinungsbildes ist die Bocks-Riemenzunge ein Paradebeispiel für Vielfalt und Anpassungsfähigkeit der heimischen Orchideenflora – und ein faszinierendes Studienobjekt für Botaniker wie Naturliebhaber gleichermaßen.
Text und Fotos: Udo Baumfalk
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